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Über die Malerei von Christina Völker

Erinnerung, das ist das eine große Thema in der Kunst von Christina Völker. Aus Alben, selbst gefertigten Fotografien oder Zeitungsbildern mit historischem oder aktuellem Inhalt destilliert sie die prägenden menschlichen Umrisse. Nicht um die Identität von Individuen geht es ihr dabei, sondern um den Typus eines Auftretens, um das Allgemeine einer Gestalt und Pose. Charakteristische Gesten hebt sie in den Silhouetten heraus, Gesten, die Zuwendung oder Abgrenzung signalisieren, Staunen oder Freude. Niemals sind Gesichtszüge erkennbar, die Leerstellen dienen als Projektionsflächen, auf die der Betrachter seine eigenen Erinnerungen und seine Lesart der Haltungen der Menschen werfen kann.

Eine Idylle ist inszeniert, die zugleich aufgebrochen und aufgewühlt wird durch die Heftigkeit der Farbhiebe, die die Bildstimmung in ihrem Grundakkord prägen. 

Das Wechselspiel von Figur und Hintergrund ist solchen Bildern spannungsvoll eingeschrieben als Korrespondenz zwischen gegenständlichen und abstrakten Bildanteilen. Dies ist ein weiteres zentrales Thema in Christina Völkers Schaffen: Figuration und Abstraktion bestimmen nicht nur verschiedene Werkgruppen, sondern durchdringen sich wechselseitig auch in einzelnen Bildern. Die Themen aus den abstrakten und figurativen Arbeitsfeldern rücken immer näher zusammen. Die Künstlerin richtet auch in den gegenständlichen Bildern ihre ganze Aufmerksamkeit auf die malerischen Zonen, arbeitet also abstrakte Felder und Details sorgfältig und ausdrucksstark durch. Sie collagiert und montiert Motive und malerische Momente aus unterschiedlichsten Kontexten zu einem spannungsvollen Ganzen.


Über die Kaugummiautomaten

Sie sind Zeugen aus vergangenen Zeiten. Nur noch hier und da in abgelegener Dörflichkeit erinnern Kaugummi-Automaten an ehemalige Jugendfreuden. Leergeräumt locken sie in ihrem abblätternden Bunt lange  schon keine Kinder mehr an. Christina Völker rühren die verlassenen und missachteten eisernen Kästen einstiger Glücksversprechen. Das Kolorit der Kugeln, der knackende Klang der Mechanik wecken in ihr Erinnerungen an Geschmack und Geruch der Süßigkeit. Die Künstlerin sammelt und fotografiert Automaten aus verschiedensten Regionen. Großformatige Abzüge ihrer Fotos übermalt sie in der Farbigkeit früherer Epochen und im Ton heiler Kinderwelten, versetzt sie an neue Orte und in neue Kontexte, um die triste Szenerie der heutigen Automaten-Umgebung auszublenden. An die Stelle realer aktueller Ödnis platziert sie still bewegte Kinder, deren Bildnisse aus alten Fotoalben gewonnen sind. Unschärfen der Erinnerung nimmt die Künstlerin in Grauzonen ihrer Gedächtnisbilder mit auf.


Über die Stempelarbeiten

Eine weitere Werkgruppe, die das Thema Erinnerung umkreist, bilden die Stempelarbeiten von Christina Völker. „Erledigt“, „Eilt sehr“, „Schätzerexemplar“ - diese und zahlreiche weitere Stempel fand die Künstlerin unter den Schreibtisch-Utensilien im einstigen Versicherungsbüro des Vaters. Ähnlich wie bei den Kaugummi-Automaten fühlte sie sich aufgefordert, die Relikte einer Arbeitstätigkeit und Repräsentanten von Arbeitsleben vor dem endgültigen Vergessen zu bewahren.

Die Doppeldeutigkeit von „Erledigt“, der Widerspruch des „Eilt sehr“ zum  heutigen Ablage-Status sind nur äußere Pointen, die den Reiz der Arbeiten ausmachen. Christina Völkers Umgang mit den Stempeln geht aber tiefer. Sie füllt die gesamte Fläche eines großformatigen Zeichenpapiers mit dicht an dicht gesetzten Stempelabdrucken. Diese Tätigkeit, nicht zuletzt auch ein Gegenpol zur gestischen Malerei der Künstlerin, nimmt die monotone Mechanik des einstigen bürokratischen Vorgangs auf. Der Stempel tritt dem Betrachter nun in Gestalt einer Zeichenwand wie ein Monument der Arbeit entgegen. Dieses scheinbar mächtiges Erinnerungsstück auf geduldigem Papier ist aber auch bereits dem Verfall ausgeliefert. Christina Völker tränkt ihre Stempelbögen in Leinöl. Eine wachsartige Mixtur entsteht, die allerdings nur oberflächlich Festigkeit verspricht. Das Papier verfärbt sich darin nicht nur mit der Zeit dunkel, das Leinöl lässt auch die Papierstrukturen verfallen, und der Träger der Stempel löst sich damit auf, wie lange zuvor die Benutzer der Stempel von neuen Technologien abgelöst worden sind.


Dr. Rainer Beßling 2014